Rauchfreiheit nach neuer Norm
Geprüfte Druckbelüftungsanlagen nach DIN EN 12101-6Gewerkübergreifende Zusammenstellungen von Komponenten für Druckbelüftungsanlagen durch den Anlagenerrichter waren bisher ebenso zulässig, wie ungeprüfte und mehr oder weniger willkürlich zusammengestellte Komplettlösungen von Systemanbietern. Die Wirksamkeit und Betriebssicherheit einer Anlage musste letztlich durch einen Prüfsachverständigen bestätigt werden. Mit der aktuellen DIN EN 12101-6:2022 sollen hier neue Wege beschritten werden. Ist sie nun ein Gamechanger?
Dabei ist es immer der gefährliche Brandrauch, der sich rasch über mehrere Etagen verteilt und somit den Bewohnern zum Verhängnis werden kann. Der Rauch wirkt nicht nur tödlich, er macht auch die Orientierung schier unmöglich und verhindert einen effektiven Angriff der Feuerwehr. Für Rettungskräfte ist es so fast nicht mehr möglich, Bewohner und Besucher zu evakuieren. Eine sichere Flucht sowie die Möglichkeit, Menschen zuverlässig retten zu können, sind daher unabdingbar.
Druckbelüftungsanlagen (DBA)
Differenzdrucksysteme (PDS, engl. für Pressure Differential System) in Form von Druckbelüftungsanlagen (DBA) halten den Treppenraum (sicherer Rettungsweg) rauchfrei und sind daher ideal, um genau diese Voraussetzungen zu schaffen.
Druckbelüftungsanlagen bestehen in der Regel aus drei Grundkomponenten:
Zuluft und Druckentlastung im Treppenraum,
Differenzdruckregelung zwischen geschütztem und ungeschütztem Raum,
Abluftweg für die Druckfreihaltung Druckentlastung bei geöffneter(n) Tür(en).
Das klingt zunächst recht unkompliziert, darin versteckt sind aber einige Fallstricke. Gewerkübergreifende Zusammenstellungen der DBA-Komponenten durch den Anlagenerrichter waren bisher nämlich ebenso zulässig, wie ungeprüfte und mehr oder weniger willkürlich zusammengestellte Komplettlösungen von Systemanbietern. Die Wirksamkeit und Betriebssicherheit einer Anlage musste letztlich durch einen Prüfsachverständigen bestätigt werden – wobei in der Vergangenheit lediglich pauschale Anforderungen an die Anlage formuliert waren. Ein Prüfverfahren, mit dem sich ein Hersteller die Leistungsbeständigkeit einer DBA vor dem Inverkehrbringen zertifizieren lassen konnte, fehlte bislang.
DIN EN 12101-6
Abhilfe sollte hier die DIN EN 12101-6 schaffen. Mit einer ersten Ausgabe aus dem Jahr 2005 wurden Grundlagen für die Zertifizierung von Druckbelüftungsanlagen bereitgestellt, um die Funktion im realen Einsatz im Gebäude zu gewährleisten.
Allerdings handelte es sich dabei um eine mandatierte, harmonisierte europäische Norm, die in den Mitgliedsländern den Status einer nationalen Norm erhalten musste. Dazu befasste sich die Norm umfassend mit der Planung und Definition von Schutzzielen im realen Gebäude, nicht aber mit der Regelung einer Bausatzprüfung.
Dieses Manko wurde nach einigen Jahren und umfangreichen Überarbeitungen mit einer neuen Ausgabe aus dem Jahr 2020 korrigiert. Im November 2022 wurde diese Ausgabe als DIN EN 12101-6:2022 in Deutschland eingeführt. Die ursprünglichen Inhalte zum Thema Planung und Schutzziele sind in einem neuen Teil 13 der Normenreihe 12101 übertragen worden. Somit kann sich jetzt der Teil 6 voll und ganz auf die Prüfung der Systeme und besonderer Bauteile beschränken. Es gibt somit erstmals die Möglichkeit, die gemeinsame Funktion der relevanten Bauteile einer Druckbelüftungsanlage auf die schnelle Reaktion der Druckregelung unter normierten Bedingungen zu prüfen.
DIN EN 12101-6: Test nach Anhang A
Anhang A befasst sich mit Bausätzen von Druckbelüftungsanlagen. Mit dem Begriff „Bausatz“ (oder „Kit“) werden dabei verschiedene Bauteile zusammengefasst, die gemeinsam Funktionen von Druckbelüftungsanlagen übernehmen können. Die Funktionen in den Bausätzen 1 bis 3 beschränken sich auf das „Überdrucksystem“ im Druckraum (Treppenraum).
Die weitergehende Funktion der Luftabführung nach der Türdurchströmung wird nicht beschrieben. Die notwendigen Funktionen für ein umfassendes Differenzdrucksystem mit Zuluft- und Abluftweg muss unter Bausatz X definiert werden.
In den Bausätzen, die bei der Prüfung eingesetzt werden, sind unterschiedliche Bauteile enthalten. Bauteile, die einen dynamischen Einfluss auf den Lufttransport haben und somit an der Druckregelung beteiligt sind, müssen im späteren Einsatz identisch der Prüfung verwendet werden. Hierzu gehören im Wesentlichen:
Ventilatoren,
Frequenzumrichter,
Druckregelklappen,
Drucksensoren inkl. Anbindung an die Steuerung,
Auswertung der Drucksensoren,
Ansteuerung der Druckregeorgane (FU, Druckregelklappen).
Statische Bauteile, die nicht aktiv an der Druckregelung teilnehmen, sind ggf. im Prüfaufbau enthalten, gehören aber nicht zum Umfang des geprüften Bausatzes. Hierzu zählen z. B. die Entrauchungsklappe im Abluftweg oder eine Dachkuppel der Druckentlastung.
DIN EN 12101-6: Test nach Anhang B
Anhang B beschreibt den Test einer Regelklappe, die unter Temperatureinfluss den Abluftvolumenstrom regelt. Diese Heißgasregelklappe kann an unterschiedlichen Stellen im Abluftsystem eingesetzt werden. Sie kann als Ersatz für die Drehzahlregelung des Abluftventilators oder als Ergänzung dazu eingesetzt werden.
Im Rahmen der Prüfung wird die schnelle Reaktion der Klappen bei den gewählten Temperaturen geprüft. Hierbei muss nachgewiesen werden, dass die Klappe innerhalb von drei Sekunden reagiert. Nach dem Schließen der Tür wird die Druckdifferenz gemessen, die für maximal drei Sekunden überschritten werden darf. Um den Brandgasventilator während der Prüfung nicht regeln zu müssen, werden zwei Heißgasregelklappen parallel angeschlossen und wechselweise auf- oder zugefahren.
DIN EN 12101-6: Test nach Anhang C
Der Anhang C sieht die Prüfung eines Brandgasventilators als schnell regelnde Einrichtung vor. Der Brandgasventilator ist inkl. Frequenzumrichter nach DIN EN 12101-3 mit fester Drehzahl geprüft. Im Rahmen der Prüfung wird unter identischer Temperaturbelastung im Brandofen die Drehzahl des Ventilators in einem festgelegten Zyklus verändert. So soll der Betrieb des Brandgasventilator an einem Abluftschacht einer Druckbelüftungsanlage simuliert werden.
Vor- und Nachteile geprüfter Systeme und Komponenten
Wie bereits erwähnt, bietet die aktuelle DIN EN 12101-6:2022 erstmals die Möglichkeit, die gemeinsame Funktion der relevanten Bauteile einer Druckbelüftungsanlage auf die schnelle Reaktion der Druckregelung unter normierten Bedingungen zu prüfen.
Allerdings ist eine Übertragung der Ergebnisse auf reale Gebäude nur eingeschränkt möglich. Parameter wie Thermik, Türgrößen, Druckverluste und natürlich auch die korrekte Umsetzung der Anlage können im Prüfstand nicht eingestellt werden, so dass der Abnahmetest auf der Baustelle unverzichtbar ist und bleibt.
Andererseits haben Fachplaner nun die Möglichkeit, auf geprüfte Komponenten und Systeme zurückzugreifen. Das erleichtert die Auswahl eines Anbieters auf dem etwas unübersichtlichen Markt ganz erheblich – wenngleich beachtet werden muss, dass die geprüften Bauteile (bis hin zum Schaltschrank mit den darin enthaltenen Komponenten) auch letztendlich zum Einsatz kommen.
DIN EN 12101-6:2022 – ein Gamechanger?
Beispiel Trox X-Fans: Die Leistungsdaten, die in der aktuellen Norm als Grundlage für Prüfungen beschrieben werden, werden schon lange in X-Fans DBA eingesetzt und entsprechen so dem Stand der Technik. Mit anderen Worten: Wenn ein Hersteller die Technik, die bereits in den letzten Jahren eingesetzt wurde, auch für die aktuelle Prüfung verwendet, unterscheiden sich geprüfte und nicht geprüfte DBA im Grundsatz nicht.
Bei X-Fans hat die Beschreibung einer Heißgasregelklappe am Brandgasventilator nach Anhang B zur Fertigstellung und erfolgreichen Prüfung dieser Komponenten geführt – zuvor war eine solche Klappe nicht vorgeschrieben. Ventilator und Frequenzumrichter nach Anhang C wurden nicht verändert. Auch die Prüfung des Systems nach Anhang A hat keine Änderung im DBA System erforderlich gemacht.
Insgesamt kann nur vermutet werden, wie viele Hersteller ihre Systeme und Produkte für die Erreichung der Prüfziele nach DIN EN 120101-6:2022 anpassen mussten. Letztlich wird der Markt zeigen, welche Hersteller mit geprüften Systemen und Komponenten weiterhin auf dem Markt agieren oder wer sich ggf. einem anderen Tätigkeitsfeld zuwenden musste.
Für die Zukunft ist besonders wichtig, dass die geprüften Systeme und Komponenten auch zum Einsatz kommen. Leider ist aufgrund der langen Bearbeitungszeit das Mandat abgelaufen, so dass es sich nicht mehr um eine mandatierte, harmonisierte europäische Norm handelt – eine CE-Kennzeichnung ist daher momentan nicht möglich.