Fassaden-Dämmungen

Gefahr vs. Risiko

Nach dem verheerenden Londoner Hochaus-Brand (Grenfell-Tower) kommt natürlich auch in Deutschland die kritische Frage auf, ob wir hierzulande tatsächlich gegen derartige Katastrophen gewappnet sind. Diese Unsicherheit nahmen Wuppertaler Behörden bereits zum Anlass, ein Gebäude mit 72 Bewohnern zu evakuieren. Es muss sich noch zeigen, ob dies ein Ausnahmefall bleibt oder plötzlich ganze Häuserblocks zu unbewohnbaren „Feuerfallen“ deklariert werden. Dieser Beitrag beabsichtigt verschiedene Aspekte zu differenzieren, um der Diskussion Objektivität zu verleihen.

Mitte Juni 2017 war ein 24-stöckiges Gebäude im Nordwesten Londons durch einen defekten Kühlschrank in Brand geraten. Obwohl die meisten Bewohner aus den 120 Wohnungen flüchten oder gerettet werden konnten, starben dennoch 80 Menschen im Feuer. Erschreckend war besonders die Geschwindigkeit, mit der sich die Flammen an der Fassade ausbreiten konnten. Laut beteiligter Experten ist das Ausmaß sehr wahrscheinlich auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen. Vermutlich hat die Verkleidung aus Aluminium zusammen mit einem dahinterliegenden Luftspalt für ein schnelle Ausbreitung des Feuers (Kamineffekt) gesorgt. Dafür spricht, dass auf vielen Bildern eine noch intakte Dämmung aus Polyisocyanurat-Hartschaum (PIR) zu erkennen ist, die sich hinter der abgebrannten Fassade befand. Daneben waren auch Brandschutz-Türen, Feuerlöscher, Rauchmelder, Sprinkleranlagen und Rettungswege nicht adäquat ausgebaut.

Zunächst sollte einmal klargestellt werden, dass Deutschland und Großbritannien hinsichtlich des Brandschutzes von Fassaden nicht in derselben Liga spielen. Der Vorfall in London wird einfach als Anlass genommen, noch offene Sicherheitslücken zu schließen. Hessen, NRW und Bayern lassen alle Hochhäuser auf ihre Sicherheit im Brandfall überprüfen. Entgegen der landläufigen Meinung geht es jedoch nicht generell um Dämmungen oder das berüchtigte Styropor, sondern speziell um Konstruktionen nach altem Baustandard, die in Verbindung mit einer Fassaden-Verkleidung und schlechten Brandschutz-Maßnahmen zu einer Gefahr in Gebäuden über 22 m Höhe werden könnten. Die Anzahl betroffener Gebäude ist gering. Es geht nicht speziell um Dämmungen, weil dieser Begriff viel zu weit gefasst ist. Dämmungen können im Dach, an der Fassade, auf dem Fußboden oder auch im Keller eingesetzt werden. Es gibt sie in verschiedensten Ausführungen und mit unterschiedlichsten Materialien. Einige sind schwer entflammbar, andere überhaupt nicht brennbar. Auch Holz wird bspw. überall im Haus eingesetzt, aber stellt nicht in jedem Fall ein Brandrisiko dar.

Danach wird in deutschen Hochhäusern gesucht

Bei der aktuellen Überprüfung deutscher Hochhäuser geht es nicht um die Frage, welche Gebäude eine Dämmung besitzen. Stattdessen soll geprüft werden, ob ein Hochhaus (über 22 m Höhe) als Gesamtkonstrukt samt aller verwendeten Materialien ausreichend gegen die Einwirkung von Feuer geschützt ist. „Schutz im Brandfall“ bedeutet dabei nach realistischen Gesichtspunkten, dass kein Mensch zu Schaden kommt und das Feuer in absehbarer Zeit unter Kontrolle gebracht werden kann. Ein unbrennbares Gebäude wäre utopisch und kaum zu bezahlen. Im Falle des Wuppertaler Hochhauses (Baujahr 1959) wurde bei der Fassade nach damals üblichen Normen gearbeitet. In der Fassade befindet sich lose Holzwolle in einer Holzkonstruktion. Dieser Aufbau ist tatsächlich brennbar, aber entspricht gleichzeitig schon lange nicht mehr gängigen Baustandards. Bisher hatten sich die wechselnden Besitzer der Immobilie stets geweigert, das Hochhaus zu sanieren. Selbst der komplette Austausch gegen eine nicht brennbare Mineralwoll-Dämmung würde das Problem nicht plötzlich auflösen. Schutzmaßnahmen müssen auch das Innere eines Hauses betreffen, weil hier die allermeisten Brände entstehen. Im Fall von Installationsschächten ist eine Dämmung sogar unbedingt notwendig, um einen Brandverlauf wie in London zu verhindern. Sind solche Schächte nicht gedämmt, dann entsteht ein Kamineffekt, durch den das Feuer blitzschnell durch das gesamte Gebäude getragen wird. Es kommt also weniger auf die Frage an, ob und wie die Fassade gedämmt ist, sondern eher darauf, wie sicher das Gebäude im Brandfall insgesamt ist.

Egal ob eine Fassade nun mit Holzwolle, Polystyrol oder nicht brennbarer Mineralwolle gedämmt wurde, bei der Brandsicherheit muss immer zwischen Gefahr und Risiko unterschieden werden. Diese Begriffe werden zwar häufig sehr lose verwendet, entscheiden allerdings maßgeblich darüber, wie sicher wir im Alltag sind. Das einfachste Beispiel wäre ein Tiger im Zoo. Grundsätzlich kann das Tier als gefährlich eingestuft werden, aber die Stärke des Käfigs entscheidet darüber, wie hoch das Risiko ist, tatsächlich von dem Tiger angefallen zu werden. Ebenso verhält es sich mit Dämmstoffen, die als „schwer entflammbar“ eingestuft werden. Das heißt, dass Stoffe wie Polystyrol im Ernstfall erst anfangen zu brennen, wenn das übrige Haus schon in Flammen steht. Statistisch ist das Risiko einer brennenden Fassade also relativ gering, bzw. irrelevant, wenn das übrige Haus ohnehin schon brennt.

Aus einer realistischen Perspektive liegt das zentrale Problem im Falle des Wuppertaler Hochhauses nicht bei der veralteten Fassaden-Dämmung aus Holzwolle. Damals wurde vieles gebaut und zugelassen, worüber heutige Sachverständige nur müde schmunzeln würden. Wichtig ist die Frage, wie wir angemessen auf solche Sicherheitslücken reagieren. Die verantwortlichen Behörden besitzen wenig Handhabe, um streng gegen veraltete Baustandards vorzugehen. Die aktuelle Debatte um die Brennbarkeit von Fassaden-Dämmungen vermengt Probleme von Hochhäusern mit denen von kleineren Gebäuden. Theoretisch steht es jedem Eigenheimbesitzer völlig frei, ob er selbst einstöckige Gebäude mit nicht brennbaren Materialien dämmen möchte. Diese Variante ist zwar teurer, schafft aber auch mehr Sicherheit, falls einmal das gesamte Haus brennen sollte. Der Staat lässt hier jedem die Möglichkeit offen, auch günstigere Materialien zu verwenden, die „nur“ schwer entflammbar sind. Eine Pflicht zur Nutzung von nicht brennbaren Materialien besteht nur bei Gebäuden über einer Höhe von 22 m.

Fazit

Unter praktischen Gesichtspunkten ist es unmöglich und unnötig, alles in unserem Alltag absolut feuerfest zu gestalten. Stattdessen ist deutlich geworden, wie groß evtl. der Nachholbedarf bei der Einhaltung aktueller Baustandards sein könnte. Dazu gehört nicht nur das Erkennen von kritischen Punkten, sondern auch die Durchsetzung entsprechender Änderungen.

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