Aktive Brandvermeidung durch Sauerstoffreduktion

Maximale Sicherheit für unwiederbringliche Datenbestände und Sachwerte

Es gibt Bereiche, in denen Brände unbedingt zu vermeiden sind. Das können Lager- und Ausstellungsräume für Produkte und Waren, Kulturgüter, Kunstgegenstände oder wertvolle Datenbestände sein. In der Regel würden klassische Sprinkleranlagen oder ein Feuerwehrangriff mit Schaum und Wasser an solchen Orten unwiederbringliche Werte zerstören. Darüber hinaus führen Brände und deren Folgeschäden zu Betriebsunterbrechungen. Eine praktikable Lösung sind Schutzatmosphären mit reduzierter Sauerstoffkonzentration, die ein Feuer erst gar nicht entstehen lassen.

Sauerstoffreduktion für ein Hochregallager. Die Einsatzbereiche dieser Technik reichen von kleinen Serverräumen bis 3XL – wie hier zu sehen.
Bild: Wichmann Brandschutzsysteme
Sauerstoffreduktion für ein Hochregallager. Die Einsatzbereiche dieser Technik reichen von kleinen Serverräumen bis 3XL – wie hier zu sehen.
Bild: Wichmann Brandschutzsysteme

In der Brandvermeidung durch Sauerstoffreduktion gibt es drei Techniken, den zur Sauerstoffreduktion notwendigen Stickstoff zu generieren. Ein Anbieter aller drei im Markt verbreiteten Techniken ist die Wichmann Brandschutzsysteme GmbH & Co. KG in Attendorn. Wir sprachen mit Michael Sauerwald, Leiter Technik und Projektmanagement bei Wichmann und Sachverständiger für Brandschutz. Er verantwortet die Planung und Projektierung des Brandvermeidungssystems „N2ORS“ und stellte sich den Fragen der Redaktion.

BS Brandschutz: Herr Sauerwald, seit wann bauen Sie Anlagen zur Brandvermeidung mit der Technologie Ihres italienischen Lieferanten Isolcell?

Michael Sauerwald, Leiter Technik und Projektmanagement bei Wichmann und Sachverständiger für Brandschutz.
Bild: Wichmann Brandschutzsysteme

Michael Sauerwald, Leiter Technik und Projektmanagement bei Wichmann und Sachverständiger für Brandschutz.
Bild: Wichmann Brandschutzsysteme
Michael Sauerwald: Wir vermarkten die Systeme bereits seit 2014 und unser Zulieferer vermarktet seine Systeme bereits seit 1958. Der Hersteller Isolcell ist Weltmarktführer für Maschinen- und Anlagenbau zur Schaffung und Kontrolle von Atmosphären für unterschiedliche Einsatzbereiche. Unsere Anlagen basieren auf der kontinuierlichen Fortführung und Weiterentwicklung dieser anerkannten und bestehenden Technologie. Die Technologie zur Sauerstoffreduktion besteht aus vielen Komponenten, die in unserem Hause kontinuierlichen Verbesserungsprozessen und Weiterentwicklungen unterliegen. Daraus entstanden ist die effizienteste Technologie zur Sauerstoffreduktion, bezogen auf Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Sicherheit. Unter anderem auch aus diesem Grund sind wir mit dem Feuertrutz Award für das Produkt des Jahres 2021 ausgezeichnet worden.

BS Brandschutz: Wie weit reduzieren Sie den Sauerstoffgehalt?

Links: Eine Kompaktanlage „N2ORS“.
Bild: Wichmann Brandschutzsysteme

Links: Eine Kompaktanlage „N2ORS“.
Bild: Wichmann Brandschutzsysteme
Michael Sauerwald: Das ist abhängig von der Art der Materialien, die zu schützen sind. Die Art der Materialien bestimmt die Entzündungsgrenze, bei der sich ein Material unter Zuführung einer definierten Hitzeentwicklung entzündet. Wird der Sauerstoffgehalt auf die Entzündungsgrenze des Materials herabgesenkt, kann sich keine Flamme bilden: Die Entzündung wird verhindert. Beispiel: Papier lässt sich leichter entzünden als Kunststoff (z.B. PVC), daher muss der Sauerstoffgehalt bei Papier weiter herabgesenkt werden als bei Kunststoff.

BS Brandschutz: Und wie lange kann ein Mensch in einer solchen Atmosphäre arbeiten?

Michael Sauerwald: Das ist in der DGUV Richtlinie (205-006) zum Arbeiten in sauerstoffreduzierten Atmosphären definiert: In einer Atmosphäre mit bis 15 Vol. % Sauerstoff darf sich ein Mensch bis zu 4 Stunden am Stück (gefolgt von einer 30-minütigen Pause) aufhalten. In einer Atmosphäre mit einem Sauerstoffgehalt unter 15 Vol. % bis 13 Vol. % sind es 2 Stunden am Stück (ebenfalls gefolgt von einer 30-minütigen Pause). Allerdings ist der tatsächliche Sauerstoffbedarf für jeden Menschen individuell – abhängig von Konstitution, Größe, Gewicht, Geschlecht, Alter etc. Die DGUV gilt als Regelwerk für den Arbeitsschutz. Jeder Arbeitnehmer, der einen solchen Raum betritt, sollte sich einer arbeitsmedizinischen G28 Untersuchung unterzogen haben.

Darüber hinaus ist der Aufenthalt in einer sauerstoffreduzierten Atmosphäre vergleichbar mit dem Aufenthalt in größeren Höhen. 15 Vol. % Sauerstoff in einem Schutzbereich sind äquivalent zum Aufenthalt in einer Höhe von ca. 2.800 m über NN. Hier spielt allerdings nicht das tatsächliche Verhältnis von Sauerstoff zu Stickstoff eine Rolle (dieses ist auch in größeren Höhen mit 20,95 % O2 und 78,08 % N2 gleich), sondern der Luftdruck in der Höhe. Aufgrund des niedrigeren Luftdrucks benötigt ein Mensch mehr Atemzüge, um die gewohnte Menge an Sauerstoff einzuatmen. Bei einer Reise in die Berge hat der Körper aber Zeit, sich an die veränderten Luftbedingungen zu gewöhnen. Beim Betreten eines Schutzbereichs fehlt diese Eingewöhnungszeit. Daher merkt man beim Betreten eines Schutzbereichs die veränderte Atmosphäre.

BS Brandschutz: Sie nutzen alle drei Verfahren für Ihre Brandvermeidungsanlagen. Können Sie ein paar Worte zu den Prozessen an sich und insbesondere zum Energieaufwand im Vergleich sagen?

Rechts: Dank permanenter Kontrolle und Aufrechterhaltung der Schutzatmosphäre ist der Funktionserhalt der technischen Einrichtungen jederzeit gewährleistet.
Bild: Wichmann Brandschutzsysteme

Rechts: Dank permanenter Kontrolle und Aufrechterhaltung der Schutzatmosphäre ist der Funktionserhalt der technischen Einrichtungen jederzeit gewährleistet.
Bild: Wichmann Brandschutzsysteme
Michael Sauerwald: Die Membrantechnik ist die bekannteste und älteste Methode, um Luft in Sauerstoff und Stickstoff zu separieren. Es gibt jedoch (in Abhängigkeit von der notwendigen Menge und Reinheit) Verfahren, die deutlich energieeffizienter sind. Die PSA-Technik und vor allem deren Weiterentwicklung, die VPSA-Technik, basieren auf der Druckwechsel-Adsorption von Sauerstoff mittels Aktivkohle. Beide Techniken arbeiten mit deutlich niedrigeren Drücken, wobei man mit der VPSA-Technik im Verhältnis zur Membrantechnik (bei gleicher Stickstoffliefermenge) bis zu 80% an Stromkosten (Energieverbrauch) einspart.

Die Stromaufnahme unserer Anlagen reicht von 1,7 kW bis zu 48 kW. In Abhängigkeit von der Raumgröße und dem modularen Aufbau unserer Anlagen kann nahezu jede beliebige notwendige Menge an Stickstoff geliefert werden, sodass durchaus auch mehrere Generatoren zum Einsatz kommen können. Darüber hinaus werden die Anlagen durch uns in Verbindung mit der Raumgröße und dem dazugehörigen Dichtwert so ausgelegt, dass die Stickstoffgeneratoren nicht permanent (24/7), sondern im Regelfall zwischen 8 und 12 Stunden pro Tag in Betrieb sind. Die restliche Zeit befinden sie sich im Standby-Modus. Die Laufzeit richtet sich nach dem konkreten Stickstoff-Bedarf des Schutzbereichs, ist also projektspezifisch.

BS Brandschutz: Möchten Sie vielleicht auch noch eine Ansage zu der Größe der Investitionsvolumina machen?

Michael Sauerwald: Auch hier richtet sich die Dimensionierung der Brandvermeidungsanlage nach dem Stickstoffbedarf des Projekts. Die Höhe des Investments hängt auch von der Größe des Projekts ab. Pauschal lässt sich das leider nicht sagen. Bis zu 7000 Proben von potenziellen Stammzellenspendern analysiert das DKMS Life Science lab täglich.
Bild: DKMS Life Science Lab

Bis zu 7000 Proben von potenziellen Stammzellenspendern analysiert das DKMS Life Science lab täglich.
Bild: DKMS Life Science Lab

BS Brandschutz: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit von Wichmann mit Isolcell?

Michael Sauerwald: Wir sind Partner und exklusiver Errichter von Isolcell Brandvermeidungsanlagen. Isolcell ist mit weltweit ca. 15.000 installierten Anlagen mit Abstand Weltmarktführer für kontrollierte Atmosphären. Die Einsatzbereiche reichen von 300 m³ großen Technik- oder Serverräumen über bis zu 5.000 m³ großen Rechenzentren, mehreren 10.000 m³ großen Archiven, automatischen Kleinteilelägern, bis zu mehreren 100.000 m³ großen Hochregal- und Tiefkühllägern. Unsere Anlagen sind in nahezu allen Industriezweigen, im Handel, in Museen, Krankenhäusern, kritischer Infrastruktur u.v.m. im Einsatz. Sie sind geprüft nach ISO / EN / DIN Standards und Normen – konform mit der Maschinenrichtline (SIL 3) und VdS geprüft.

Zahlen und Fakten zur Sauerstoffreduktion

Die wesentliche Komponente der Brandvermeidungsanlage ist der sog. Stickstoffgenerator. Dieser erzeugt vor Ort sauerstoffreduzierte Luft (Stickstoff, N2) aus unserer Umgebungsluft. Diese Umgebungsluft ist nicht die Luft in dem zu schützenden Bereich, sondern einfach „frische“ Luft von außerhalb des Schutzbereichs. Die Generatoren basieren auf unterschiedlichen Technologien zur Trennung der Umgebungsluft in Stickstoff und Sauerstoff (O2).

Eine dieser Techniken, die wohl die älteste ist, ist die Membran-Technik, bei der die Umgebungsluft mithilfe von hohem Druck durch eine Hohlfasermembran gepresst wird. In dieser Membran werden die Sauerstoffmoleküle von den Stickstoffmolekülen separiert, sodass der gewonnene Stickstoff genutzt werden kann. Eine im Vergleich dazu neuere Technik ist die Erzeugung des Stickstoffs mittels PSA-Technik. PSA bedeutet: Pressure Swing Adsorbtion. Hierbei werden die Sauerstoffmoleküle mittels Aktivkohle-Sieben (Carbon Molecular Sives, Kohlenstoffmolekularsieben) in einem sog. Druckwechsel-Adsorbtionsprozess aus der Luft adsorbiert. Allerdings wiederum mittels Nutzung relativ hoher Luftdrücke, die große Kompressoren (=viel Stromverbrauch) bedingen.

Die konsequente Weiterentwicklung dieser Technik ist die VPSA-Technik. VPSA bedeutet: Vacuum Pressure Swing Adsorption. Diese Technik ermöglicht es, dass der notwendige Luftdruck deutlich verringert wird, sodass die Energiekosten (sowohl gegenüber der PSA-Technik als auch der Membran-Technik) deutlich reduziert werden. Zum Vergleich: Bei der Membran Technik werden für eine N2 Produktionsleistung von 25 m3/h ca. 16-20 KW Leistung gebraucht, bei der PSA-Technik für den gleichen Stickstoffvolumenstrom 13-15 KW und bei der VPSA-Technik schließlich rund 5 KW. Wichmann bietet alle 3 Technologien an.

Ein Brandvermeidungsprojekt für die
Deutsche Knochenmarkspenderdatei

Im DKMS (Deutsche Knochenmarkspenderdatei) Life Science Lab, einem leistungsfähigen und innovativen Labor für HLA-Genotypisierung (Humanes Leukozyten-Antigen-System), wird nach modernsten wissenschaftlichen Standards gearbeitet, um geeignete Stammzellenspender für Blutkrebspatienten zu identifizieren. Zu den täglichen Arbeitsverfahren gehören hochmoderne Technologien, unter anderem das Next Generation Sequencing (NGS), mit dem mehrere tausend Stammzellenspender pro Tag verlässlich typisiert werden können. Die damit einhergehende Steigerung der Labor-Leistungskraft ist aber nur dann möglich, wenn dem Prozess entsprechend leistungsstarke Server zugrunde liegen.

Der Schutz der auf Hochtouren laufenden Server vor Schäden, beispielsweise ausgelöst durch Brände, hat daher einen enormen Stellenwert bei der Sicherung der Stammzellenspenderdaten. An diesem Punkt kamen die Sauerländer Brandschutzspezialisten der Firma Wichmann ins Spiel, die genau für diese Art von Brandschutz eine passende Lösung bereithalten – die „Isolcell N2ORS“ Sauerstoffreduktion.

Für den aktiven Schutz der Servereinrichtungen vor Bränden hat sich die DKMS bereits im Jahr 2018 für das Brandvermeidungsystem „N2ORS“ mittels Sauerstoffreduktion entschieden. Die Hauptargumente lagen dabei in der Kompaktheit der Anlage, dem geringen Energieverbrauch und der verschleißfreien Sauerstoffsensorik. Zusätzlich wurde ein Rauchansaugsystem zur Brandfrüherkennung gefordert, welches ebenfalls von Wichmann geplant und installiert wurde.

Die sicherste Methode, um Schäden durch Feuer zu vermeiden, ist die aktive Brandvermeidung mittels Sauerstoffreduktion. Die aktive Brandvermeidungsanlage „Oxygen Reduction System N2ORS“ von Wichmann reguliert den Sauerstoffgehalt im Serverraum des DKMS Labors automatisch und verhindert, dass ein Brand entstehen kann. Es kann sich keine Flamme bilden – auch nicht durch Kurzschlüsse, stark erhitzte Kabel oder Platinen. Als besondere Herausforderung im DKMS Labor stellte sich der Standort des Serverraums in einem ehemaligen Tresorraum heraus. Aufgrund der meterdicken Wände und der Lage des Tresors in über 10 m Tiefe unterhalb des Erdniveaus war die Installation der Brandvermeidungsanlage mit einigen besonderen Anforderungen verbunden. Dazu gehörte das Einbringen der Anlage in eine Peripherie im Bestand, das Verlegen der Rohrleitungen durch Tresorwände und das Ableiten des Permeats über mehrere Etagen ins Freie. Jede dieser Herausforderungen konnte jedoch durch das Wichmann-Team gelöst werden.

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