Kabelanlagen mit Funktionserhalt
Kommt es in Gebäuden mit besonderen Anforderungen zum Brandfall, spielen sicherheitsrelevante Anlagen eine im wahrsten Sinne lebenswichtige Rolle. Um ihre Funktion auch unter widrigen Bedingungen zu gewährleisten, braucht es elektrische Leitungsanlagen mit integriertem Funktionserhalt, geprüft gemäß DIN 4102-12.
In der Musterbauordnung wird die Brandsicherheit von Gebäuden und damit insbesondere der Schutz von Menschenleben als wesentliches Schutzziel definiert. Es ist insofern nur folgerichtig, dass eine eigene Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an Leitungsanlagen (Muster-Leitungsanlagen-Richtlinie/MLAR) im baulichen Brandschutz existiert. Herausgegeben von der Bauministerkonferenz, gibt diese unter anderem vor, dass elektrische Leitungsanlagen für bauordnungsrechtlich vorgeschriebene sicherheitstechnische Anlagen so beschaffen oder durch Bauteile abgetrennt sein müssen, dass sie „im Brandfall ausreichend lang funktionsfähig bleiben (Funktionserhalt).“ Als Leitungsanlage gilt die Gesamtheit der Kabel selbst sowie Anschluss-, Mess- und Steuereinrichtungen, Netzgeräte und nicht zuletzt die zugehörigen Beschichtungen und Bekleidungen, Verbindungselemente, Tragevorrichtungen und Halterungen. Ihr Funktionserhalt ist dann gegeben, wenn in der Kabelanlage bei einer Brandprüfung kein Kurzschluss und keine Unterbrechung des Stromflusses in den geprüften elektrischen Kabelanlagen auftritt.
Differenzierungen durch die MLAR
Welcher Zeitraum genau als „ausreichend“ zu verstehen ist, differenziert die MLAR im weiteren Verlauf: Mindestens 30 Minuten muss der Funktionserhalt unter anderem bei Sicherheitsbeleuchtungsanlagen und Alarmierungsanlagen, die durch mehrere Brandabschnitte verlaufen, bei Brandmelde- sowie den dazugehörigen Übertragungsanlagen, natürlichen Rauchabzugsanlagen und Personenaufzügen mit Brandfallsteuerung gewährleistet sein.
Ein vorgeschriebener Funktionserhalt von mindestens 90 Minuten gilt hingegen bei automatischen Feuerlöschanlagen und Wasserdruckerhöhungsanlagen zur Löschwasserversorgung, für maschinelle Rauchabzugs- und Druckbelüftungsanlagen in Hochhäusern und einigen Sonderbauten, für Feuerwehraufzüge sowie für Bettenaufzüge in Krankenhäusern und anderen baulichen Anlagen mit entsprechender Zweckbestimmung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Funktionserhaltsklasse E30 für alle elektrischen Anlagen gefordert wird, die zur Evakuierung von Menschen und Tieren aus einem brennenden Gebäude benötigt werden. Die Funktionserhaltsklasse E90 hingegen ist in der Regel maßgeblich für die Ermöglichung und Unterstützung der Brandbekämpfung durch die Feuerwehr.
Auch wie der Funktionserhalt von Leitungen gewährleistet wird, wird in der MLAR dargelegt: Die Richtlinie nennt dafür zum einen die Verlegung im Erdreich. Eine zweite Möglichkeit stellt die Verlegung auf Rohdecken dar, wenn der darüberliegende Fußbodenestrich eine Dicke von mindestens 30 mm besitzt. Allerdings ist naheliegend, dass beide Varianten nicht in jedem Fall praktikabel oder überhaupt umsetzbar sind. Deshalb steht Planern als dritte Möglichkeit die Konstruktion einer Kabelanlage mit Funktionserhalt, geprüft nach DIN 4102-12, zur Verfügung.
Genormte Standard-Tragkonstruktionen
Im Januar 1991 vorgelegt, beschreibt Teil 12 der DIN 4102 die Anforderungen, Prüfungen und Maßnahmen zur Erzielung des Funktionserhalts von elektrischen Kabelanlagen im Brandfall. Diese Norm ermöglicht eine praxisgerechte Prüfung einer kompletten Kabelanlage unter realistischen Bedingungen. Seit 1998 definiert eine überarbeitete Fassung unterschiedliche Standard-Tragkonstruktionen mit dem Ziel, eine Übertragbarkeit der Prüfung und Abnahme zu erreichen.
Insgesamt sind in der Norm vier Varianten aufgeführt, die entsprechend zum Einsatz kommen: Bei Verlegung der Kabel auf Leitern oder Rinnen bestehen diese aus einer Tragekonstruktion mit einem Unterstützungsabstand von maximal 1,2 m. Die Abhängung besteht aus Hängestielen mit angeschraubten Auslegern und der im Bereich der Auslegerspitze zusätzlich angeordneten Abhängung durch Gewindestangen. Im Fall von Kabelrinnen beträgt die maximale Breite 300 mm und die Kabellast ist auf 10 kg/m beschränkt. Der Einsatz von Kabelleitern erlaubt als Normtragekonstruktion eine Breite von bis zu 400 mm sowie ein einzubringendes Gewicht von bis zu 20 kg/m.
Für den Einsatz von Kabelschellen sind zwei Varianten vorgesehen, wobei hier zwischen Einzelverlegung in Bügelschelle ohne und mit Langwanne differenziert wird. Für die Einzelverlegung in Bügelschelle ohne Langwanne ist ein Schellenabstand von 300 mm festgelegt. Bei der Verwendung der Bügelschelle mit Langwanne wird ein Schellenabstand von 600 mm beschrieben. Dabei ist es jedoch zwingend erforderlich, 200 mm lange Langwannen einzusetzen.
Systemgeprüft für mehr Flexibilität
Der Vorteil der Normtragekonstruktionen liegt unter anderem in der einfachen Zusammenstellung der Kabelanlagen mit Produkten verschiedener Hersteller. Unter Berücksichtigung eines Allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses (AbP) der Kabelanlage lassen sich alle Kabel mit Funktionserhalt nutzen, die für die jeweilige Ausführung freigegeben sind. Allerdings entsteht durch die eingeschränkte Belastbarkeit sowie die Konstruktionsweise ein deutlich höherer Montageaufwand. Aus diesem Grund greifen Planer zunehmend auf systemgeprüfte Tragkonstruktionen zurück – auf Basis von DIN 4102-12 geprüfte Kabelanlagen mit definierten Abweichungen.
Hierbei ist zu beachten, dass sich die Prüfungen immer auf eine feste Kombination von Kabel und Tragkombination beziehen, die im AbP ausgeführt wird. Unter Berücksichtigung dieser eins-zu-eins-Verbindung lassen sich dann allerdings beispielsweise Stützabstände von bis zu 1,5 m sowie eine maximale Kabellast von 30 kg/m realisieren. Auf eine vordere Abhängung kann dann ebenfalls verzichtet werden, was eine deutlich leichtere nachträgliche Belegung mit weiteren Kabeln mit sich bringt. Systemgeprüfte Tragkonstruktionen mit Lösungen der PohlCon-Produktmarke „PUK“ und Kabelherstellern wie z.B. Dätwyler ermöglichen hier eine große Vielfalt an geprüften Abweichungen wie etwa eine Bündelverlegung in Bügelschellen.
Horizontale Verlegung
Grundsätzlich werden die Prüfergebnisse der horizontalen Verlegearten in Bügelschelle auch auf die Installation an der Wand übertragen, was den Einsatz von Steigetrassen ermöglicht. Bei der horizontalen Verlegung der Sicherheitskabel in Bügelschelle ist hier im Besonderen auf die abrutschsichere Befestigung der Bügelschellen zu achten. Dies ist notwendig, da sich der Außendurchmesser der Kabel im Brandfall verringert und diese deshalb ohne Sicherheitsmaßnahmen abrutschen würden.
Bei Steigetrassen gilt die Klassifizierung nur, wenn eine „wirksame Unterstützungs-Maßnahme“ (WUM) in Abständen von maximal 3500 mm erfolgt. Diese WUM kann wiederum in drei Varianten ausgeführt werden.
Zum einen ermöglicht die DIN 4102-12 die Zugentlastung durch Schlaufen. Die Kabel verlaufen also nicht durchgehend senkrecht, sondern werden im Höchstabstand von 3,5 m durch waagerecht verlegte Abschnitte mit Abrutschsicherung ergänzt. Deren Mindestlänge beträgt inklusive Befestigungen 300 mm, wobei bei der Installation zusätzlich die zulässigen Biegeradien der Kabel berücksichtigt werden müssen. Im Brandfall legen sich die Kabel auf den Seiten der Schellenkörper ab.
Eine zweite Variante ergibt sich durch den Einsatz von zugelassenen Kabelabschottungen in Deckenöffnungen, wobei die Geschosshöhe aufgrund der beschriebenen Anforderungen an WUM bei dieser Variante naturgemäß auf 3,5 m begrenzt wird. Das Gewicht des Kabels wird im Brandfall von der direkt über dem Boden befindlichen Schellenreihe abgefangen, da diese aufgrund der Schottfunktion kalt bleibt.
Als dritte, vergleichsweise unkomplizierte Lösung haben sich allerdings Kästen aus nicht brennbarem Material mit integrierter Kabelabschottung bewährt, die direkt über einer Schellenreihe montiert werden. Die wirksame Unterstützung durch nachgewiesene Schellenausbildung macht das aufwändige Schlaufenlegen der Kabel überflüssig und stellt außerdem keine Beschränkung für die maximale Geschosshöhe dar. Da die Schellenreihe im Kasten aus nichtbrennbarem Material im Brandfall kühl bleibt und ein Durchreißen so wirkungsvoll verhindert wird, ähnelt das Wirkprinzip dennoch dem der Kabelabschottungen. Die Lösung ist für alle Steigetrassen universell einsetzbar und auch für Einzelschellen mit senkrechter Kabelführung zugelassen.
Baukonstruktive Gegebenheiten
Ebenso wichtig für den Funktionserhalt wie die Beschaffenheit der Leitungsanlagen selbst sind die umgebenden baulichen Strukturen. So müssen Kabeltragkonstruktionen an Massivwänden aus Mauerwerk (nach DIN 1053-1 bis -4), Beton bzw. Stahlbeton (DIN 1045) oder Porenbeton-Bauplatten nach DIN 4166 befestigt werden. Ebenfalls möglich ist die Montage an Decken aus Beton, Stahlbeton oder Porenbeton gemäß DIN 4223, deren Feuerwiderstandsklasse nach DIN 4102-2 mindestens der Funktionserhaltsklasse der entsprechenden Kabelanlage mit integriertem Funktionserhalt entspricht. Hängende Steigetrassen ermöglichen die senkrechte Kabelverlegung zum Beispiel vor F-klassifizierten Trockenbauwänden.
Für die verwendeten Dübel gilt unter anderem, dass sie den Angaben gültiger allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassungen des Deutschen Instituts für Bautechnik oder gleichwertig (z.B. ETA) entsprechen und für den Feuerwiderstand unter Brandeinwirkung klassifiziert sind. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Kabelanlagen mit integriertem Funktionserhalt durch herabstürzende Bauteile nicht negativ beeinträchtigt werden können.
Schlussendlich obliegt es dem Installationsunternehmen, das die Kabelanlage herstellt, gegenüber dem Auftraggeber eine schriftliche Übereinstimmungserklärung auszustellen, mit der es bescheinigt, dass die ausgeführte Kabelanlage den Bestimmungen des allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses entspricht. Damit einher geht auch die abschließende Empfehlung, bei nicht wesentlichen Abweichungen im Rahmen der Ausführung im Zweifelsfall frühzeitig einen Sachverständigen bzw. eine anerkannte Prüfstelle hinzuzuziehen.
Zwischendeckeninstallation für notwendige Fluchtwege gemäß MLAR 3.5.3
Bei Unterdecken in notwendigen Fluren (Flucht- und Rettungswegen) muss in jedem Fall auf einen ausreichenden Abstand zwischen Kabeltragsystem und darunterliegender eingezogener F-klassifizierter Zwischendecke geachtet werden. Dieser Abstand ist notwendig, um die Zwischendecke im Brandfall nicht negativ zu beeinflussen. Entsprechende minimale Abstände sind z.B. aus Prüfberichten oder einschlägigen Kommentaren zur MLAR zum Thema Zwischendeckeninstallation zu entnehmen.