Vom „Sachsenspiegel“ zur MVV TB
Die wahrscheinlich wichtigsten Anforderungen in Sachen Brandschutz – Abstand und Abtrennung – wurden bereits im 13. Jahrhundert im „Sachsenspiegel“ nachweislich aufgeführt. Acht Jahrhunderte später werden sie im aktuellen Entwurf der Synopse zur Musterbauordnung um einen zusätzlichen Spiegelstrich zu den erforderlichen Mindestabständen von Photovoltaikanlagen zu Brandwänden ergänzt. Ein geschichtlicher Abriss zur Entwicklung von Regelwerken.
Der Fachverband Tageslicht und Rauchschutz e. V. (FVLR) hat seit seiner Gründung bereits eine Vielzahl von Änderungen begleitet. Ein Beispiel sind die natürlichen Rauch- und Wärmeabzugsgeräte (NRWG) als Bestandteil von Rauch- und Wärmeabzugsanlagen. Diese sollen im Brandfall Brandrauch und Brandgase über das Dach oder die Fassade ableiten. Insbesondere bei großflächigen Gebäuden hat sich die Ableitung über die Dachfläche mit in Lichtkuppeln oder Lichtbändern integrierten Rauch- und Wärmeabzugsgeräten seit vielen Jahrzehnten bewährt. In Abhängigkeit des jeweiligen Schutzziels (z. B. Selbst- und Fremdrettung, Unterstützung der Feuerwehr beim Löschangriff, Mindest-Sachschutz) werden die jeweiligen Anlagen ausgewählt und konzipiert.
Grundsätzlich können Rauch- und Wärmeabzugsanlagen bereits durch Sonderbauverordnungen (Versammlungsstätten, Verkaufsstättenverordnung) oder Sonderbaurichtlinien (Industriebaurichtlinie), jeweils in den länderspezifischen Fassungen, oder Brandschutznachweise erforderlich sein. Weitere Anforderungen können sich auch aus Risikobewertungen der Versicherer ergeben. Bereits diese kleine Auflistung zeigt, dass es nicht immer einfach ist, hier den Überblick zu behalten. Es sind weniger die Anforderungen an die Geräte selbst als die unterschiedlichen Regelwerke, die sich in den letzten Jahren verändert haben und besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.
Grundlagenpapier zu den Rauch- und Wärmeabzugsanlagen
Ein erstes und allgemein akzeptiertes Regelwerk zu den Anforderungen an natürliche Rauchabzugsgeräte war ein Grundlagenpapier des VdS, das auch als Basis für die ab September 1981 als Entwurf veröffentlichte DIN 18232 Teil 3 zu betrachten ist. Im September 1984 konnte die DIN 18232-3 als sogenannter Weißdruck veröffentlicht werden. Neben der Prüfung und der Einhaltung der Anforderungen nach der DIN 18232-3 benötigten die Geräte noch ein allgemein bauaufsichtliches Prüfzeugnis, erstellt vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt), und eine Übereinstimmungserklärung des Herstellers, um die Geräte vertreiben zu können.
Im September 2003 wurde die EN 12101 Teil 2 auf europäischer Ebene veröffentlicht. Die EN 12101-2 definierte die Anforderungen und die jeweiligen Prüfungen und Nachweiswege, die erforderlich sind, um die Einhaltung der jeweiligen Anforderungen zu überprüfen – erstmalig in europäischer Abstimmung. Da in den unterschiedlichen europäischen Ländern in einigen Bereichen auch unterschiedliche Anforderungen vorliegen, wurden diese als Klassen in der europäischen Norm aufgenommen. Mit Einführung der Bauproduktenrichtlinie und später dann auch mit der Bauproduktenverordnung war ab 2006 die EN 12101-2 in Deutschland als DIN EN 12101-2 für den Nachweis der erforderlichen Mindesteigenschaften sowie für den Nachweis der zusätzlichen Anforderungen nach der Bauregelliste B 1 verbindlich. Dokumentiert wurde dies an den Geräten durch eine Kennzeichnung, die eine CE-Zertifizierung voraussetzte, und eine bauaufsichtliche Zulassung durch das DIBt.
Regelmäßige Aktualisierung
2014 mussten dann alle zusätzlichen nationalen Anforderungen an Bauprodukte zurückgezogen werden, da sie aus Sicht der Europäischen Kommission den freien Warenverkehr behindern. Heute stehen, nach der Anpassung der Musterbauordnung und mit Einführung der gänzlich neuen Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) ab dem Jahre 2017, neue Grundlagen und technische Regeln für die Planung, Konzeption und Ausführung in Deutschland zur Verfügung. Die MVV TB, die die Bauregeliste mit ihren Teilen A bis C ersetzt, wird regelmäßig aktualisiert und kann somit auf Veränderungen reagieren und erforderliche Anpassungen aufnehmen.
Aktuell gibt es fünf Fassungen der MVV TB, die vom DIBt veröffentlich wurden. Der Grad der Umsetzung in den Bundesländern ist unterschiedlich. Eine aktuelle Übersicht geben die Webseiten des DIBt und der Bundesbauministerkonferenz. Mit der Veröffentlichung der Fassung 2019 der MVV TB wurden die Mindest-Leistungsdaten der natürlichen Rauch- und Wärmeabzugsgeräte konkretisiert. Anforderungen an spezielle Leistungsanforderungen, die bisher in der nationalen Norm DIN 18 232 Teil 9 enthalten waren, wurden dazu in die MVV TB übernommen.
Anforderungen an Sicherheitseinrichtungen
Die europäische Bauproduktenverordnung lässt im Prinzip zu, dass von den unterschiedlichen Leistungsanforderungen, die ein natürliches Rauch- und Wärmeabzugsgerät erfüllen sollte, und die auch in der EN 12101-2 enthalten sind, im Extremfall nur eine Anforderung vom Hersteller zum Nachweis ausgewählt wird. Man wollte hierdurch sicherstellen, dass kleinen Herstellern keine Kosten durch aufwendige Prüfungen entstehen, wenn sie bspw. ihre Produkte nur in einem europäischen Land vertreiben – und dort eventuell reduzierte Anforderungen bestehen. Natürliche Rauch- und Wärmeabzugsgeräte sind jedoch Sicherheitseinrichtungen, die z. B. auch bei unterschiedlichen klimatischen Bedingungen verlässlich ihre Funktion erfüllen müssen. Daher ist es besonders erfreulich, dass in der MVV TB neben den Mindestanforderungen an die Geräte auch die Anforderungen aufgeführt werden, für die zumindest Angaben zu machen sind und somit auch Prüfungen und Nachweise erforderlich sind.
Die an diesem kleinen Produktbereich dargestellten Veränderungen des Regelwerkes sind nicht abgeschlossen. Die Europäische Kommission plant derzeit eine grundlegende Überarbeitung der Bauproduktenverordnung. Damit wird nach jetzigem Informationsstand auch eine grundlegende Veränderung des bisherigen Entstehungsprozesses von Normen auf europäischer Ebene verbunden sein. Auch hieraus werden sich Veränderungen und Anpassungen ergeben. Weiter werden sich grundsätzliche Inhalte in den europäischen Normen ändern, da neue Bereiche wie Nachhaltigkeit und die Sicherheit bei der Verwendung der Produkte verstärkt in den Normen zu berücksichtigen sind.
Info: Der FVLR stellt sich vor
Der Fachverband Tageslicht und Rauchschutz e. V. wurde 1982 gegründet. Er repräsentiert die deutschen Hersteller von Lichtkuppeln, Lichtbändern sowie Rauch- und Wärmeabzugsanlagen. Sie verfügen über ein umfangreiches, langjähriges Know-how und technisch qualifizierte Mitarbeiter. Sie beraten Planer und Anwender umfassend und leisten aktive Hilfestellung bei der Projektierung, Ausführung und Wartung von Tageslicht-Dachoberlichtern sowie Rauch- und Wärme-Abzugsanlagen. Lichtkuppeln und Lichtbänder erfüllen vielfältige Aufgaben in der Architektur. Rauch- und Wärmeabzugsanlagen sind unverzichtbare Bestandteile des vorbeugenden baulichen Brandschutzes. Der FVLR hat es sich zum Ziel gemacht, europaweit produktneutrale, sachliche und fundierte Forschungs- und Informationsarbeit zu leisten, bei Planern, Architekten, Entscheidungsträgern und Anwendern. Aus diesem Grund ist der FVLR auch aktives Mitglied in EUROLUX, der Vereinigung der europäischen Hersteller von Lichtkuppeln, Lichtbändern und RWA. Er wirkt darüber hinaus in den einschlägigen Gremien zur internationalen und europäischen Normungsarbeit mit.