Gefahrenverdacht
Die zuständigen Bauaufsichtsbehörden sind bei bestehenden Gebäuden grundsätzlich berechtigt, Maßnahmen zu verlangen bzw. anzuordnen, die zur Beseitigung einer konkreten Gefahr im Einzelfall erforderlich sind.
Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein legales oder ein nicht genehmigtes Gebäude handelt. Obwohl legal errichtete Gebäude insofern Bestandsschutz genießen, und daher mit der Erteilung der Baugenehmigung grundsätzlich seitens der Bauaufsichtsbehörden auch keine nachträglichen Anforderungen mehr gestellt werden dürfen, findet dieser verfassungsgemäße Schutz vor nachträglichen, ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen seine Grenze da, wo kraft Sachverhalt im Einzelfall eine konkrete Gefahr (z.B. Personengefährdung durch einen Brand) vorliegt.
Von einer derartig konkreten Gefahr spricht man im Rechtssinne u.a. dann, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass aufgrund der Umstände eine Schädigung der körperlichen Unversehrtheit bzw. eine Lebensgefahr eintreten können.
Gerade im Bereich des baulichen Brandschutzes spielt daher der rechtliche Begriff der konkreten Gefahr eine große Rolle.
Nicht in jedem Fall kann jedoch von vornherein beurteilt werden, ob eine Situation in diesem Sinne konkret gefährlich ist oder nicht. Oftmals ist es so, dass der zuständigen Behörde zwar ein Grund oder mehrere „verdachtsbegründende“ Tatsachen (z.B. ein von außen augenscheinlich schadhaftes Gebäude) vorliegen, diese aber nicht ausreichen, um das Vorliegen einer konkreten Gefahr abschließend festzustellen.
Die Frage stellt sich dann, ob die Behörde ermächtigt ist, Maßnahmen zur weiteren Gefahrerforschung vorzunehmen bzw. auch diesbezüglich ggf. den Eigentümer per Ordnungsverfügung zu verpflichten.
Einen entsprechenden Fall hatte jüngst der bayerische Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden (Urteil vom 25. März 2019, Aktenzeichen: 15 C 18.2324).
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war anlässlich einer Dienstfahrt eines Kreisbaumeisters diesem bei einem älteren Wohngebäude aus den 1960er Jahren aufgefallen, dass sich augenscheinlich auf dem Dach Ziegel lösen und drohten, auf Personen (Passanten) herunterzufallen.
Die zuständige untere Bauaufsichtsbehörde verfügte im Anschluss hieran gegenüber dem Eigentümer, dass dieser sein Gebäude im Hinblick auf lockere Gebäudeteile (Wand und Dachziegel, Bleche etc.) zu sichern habe. Des Weiteren wurde verfügt, dass ein Nachweis der Standsicherheit durch eine hierfür qualifizierte Person (Statiker, Tragwerksplaner o.Ä.) vorzulegen sei.
Die gesamte Verfügung wurde mit Zwangsgeld behaftet: Es wurde ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 € angedroht, wenn die Verpflichtungen nicht innerhalb eines Monats nach Bestandskraft des Bescheids erfüllt werden würden.
Hiergegen versuchte sich der Eigentümer gerichtlich zur Wehr zu setzen – jedoch erfolglos.
Der in zweiter Instanz (nach erstinstanzlichem Unterliegen) angerufene Verwaltungsgerichtshof Bayern hat geurteilt, dass die angegriffene Verfügung, gerichtet auf Gefahrerforschung, gemäß der Vorschrift des Art. 54 der bayerischen Bauordnung rechtmäßig sei.
Demnach können auch bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen die Bauaufsichtsbehörden Anforderungen stellen, wenn dies zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist. Eine erhebliche Gefahr könne auch darin begründet sein, dass diese erst nachträglich auftritt oder erst nachträglich erkannt bzw. ihre Schwere nunmehr – etwa unter Berücksichtigung der fortgeschrittenen technischen Entwicklung oder neuer technischer Erkenntnisse – anders beurteilt werde.
In Verbindung mit der Regelung in Art. 54 Abs. 2 Satz 2 der bayerischen Bauordnung vermittle die Vorschrift im Übrigen auch eine Ermächtigungsgrundlage der Aufsichtsbehörde dahingehend, dass zur Ausräumung eines Gefahrenverdachts die Vorlage eines Standsicherheitsnachweises verlangt werden kann.
Die Kostenlast für so einen berechtigten „Gefahrerforschungseingriff“ als erste Maßnahme zur Gefahrenabwehr, liegt insofern beim Adressaten der Verfügung (d.h. hier dem Eigentümer). Dies auch dann, wenn sich im Nachhinein trotz objektiver Gerechtfertigkeit des Gefahrenverdachts herausstellt, dass eine konkrete Gefahr doch nicht vorgelegen hatte.