Herausforderungen und Lösungsansätze am Beispiel konkreter Großprojekte

RWA in der Praxis

Große Bauvorhaben bergen, auch in Bezug auf die RWA-Anlagen (Rauch-Wärme-Abzugs-Anlagen), häufig besondere Herausforderungen. Diese Anforderungen sind sehr individuell. Seien es extreme Gerätegrößen, spezielle Zusatzausstattung, besondere optische Ansprüche oder komplexe Steuerungsabläufe. Derlei Wünsche gibt es auch bei kleinen Vorhaben, hier werden sie mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit aber meist schnell verworfen. Bei Großprojekten besteht dagegen aufgrund der großen Auftragsvolumina oft auf allen Seiten ein besonderes Interesse an der Erarbeitung von Lösungen, selbst wenn diese mit hohen Fix-Kosten verbunden sind. Umgelegt auf große Stückzahlen ergeben sich meist trotzdem wirtschaftlich vertretbare Konzepte.

Erkenntnisse und Lösungsansätze aus Großprojekten lassen sich prinzipiell auch auf kleinere übertragen. Es ist ein stetes Wechselspiel von Anforderungen, besonderen Erschwernissen oder Erleichterungen und Lösungsmöglichkeiten, die im konkreten Fall abgewogen werden müssen. Erst die Relation zueinander bestimmt die gangbaren Wege. Pauschale Regeln lassen sich nicht ableiten, aber mit dem Wissen über die Möglichkeiten findet sich schneller die jeweils optimale Lösung. Dieser Beitrag stellt typische Herausforderungen und Lösungsansätze am Beispiel konkreter Großprojekte vor und zeigt sowohl Möglichkeiten, als auch Grenzen auf.

Nuovo Centro Congressi in Rom

Der Neubau des Kongresszentrums in Rom ist eines der größten Prestigeprojekte Italiens. Vom römischen Stararchitekten Massimiliano Fuksas kam der aufsehenerregende Entwurf, dessen zentrales Element „die Wolke“ ist. Die namensgebende Form bildet ein von einer Membran umhülltes Stahlkonstrukt. Sie schwebt scheinbar in einem riesigen Quader aus Stahl und Glas (175 m x 70 m x 40 m) und beherbergt große Tagungsräume mit Platz für bis zu 1800 Personen. Ergänzt wird das Ensemble vom angrenzenden Hochausriegel, dem Kongresshotel. Baubeginn war im Februar 2008, eröffnet wurde im Oktober 2016.

Herausforderung

Im 12.000 m² großen Dach des „die Wolke“ umhüllenden Glasquaders waren 640 RWA- und Lüftungsflügel von zum Teil enormer Größe zu realisieren. Erschwerend hinzu kam der Einsatz einer speziellen Verglasung mit sehr hohem Flächengewicht. Die größten Flügel kamen daher auf eine Fläche von gut 4,5 m² und ein Gewicht von ca. 250 kg. Nicht nur an die Errichtung, sondern auch an die über die Nutzungsdauer erforderliche regelmäßige Wartung galt es, zu denken. Diese wird neben den enormen Flügelmaßen dadurch erschwert, dass die NRWG im Glasdach nicht ohne Weiteres von unten zugänglich sind. Die Adaption des RWA- Systems in das bestehende Stahltragwerk und ein enges Zeitfenster waren weitere Herausforderungen, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.

Lösung

Auf Basis bestehender Standardsysteme wurde ein eigenständiges Profilsystem und daraus ein komplettes NRWG entwickelt. Wegen der dabei nötigen vielfältigen Veränderungen am Basissystem, konnte nicht auf die bestehenden Prüfungen Bezug genommen werden. Folglich wurde eine vollständige Systemprüfung aller Eigenschaften nach EN 12101-2 erforderlich. Innerhalb des sehr kurzen Zeitraums bis zum Montagebeginn konnte diese zwar nicht erledigt werden, bis zum Ende der Montage, die sich über viele Monate erstreckte, wurde aber die gesamte Prüfung einschließlich Zertifizierung abgeschlossen. Das war nicht zuletzt auch der guten Zusammenarbeit mit dem VdS als federführender Stelle zu verdanken. Für die manuelle Öffnung einzelner Flügel von außen wurden an den NRWG entsprechende Anschlüsse nach außen geführt. Für die Wartungsmonteure stehen spezielle mobile Öffnersysteme zur Verfügung.

Chancen und Grenzen

Die Anforderungen schienen zwar zunächst hoch, die enorme Flügelanzahl eröffnete jedoch auch besondere Möglichkeiten. Eine gezielte Produktentwicklung und Prüfung in diesem Umfang wäre bei „normalen“ Aufträgen nicht wirtschaftlich machbar. Im konkreten Fall lag es aber durchaus im Bereich des Vertretbaren, da sich die Kosten, auf viele Geräte verteilt, verträglich zeigten. Begrenzend wirken bezüglich der Gerätegrößen derzeit die Größe und Ausstattung der Prüfeinrichtungen bei den notifizierten Prüfstellen. Außerdem ist auch die Handhabung bei der Fertigung, beim Transport, bei der Montage bis hin zur Wartung ein Thema. Zwar sind hier theoretisch noch größere Geräte denkbar. Man ist aber bereits in dem Bereich angelangt, in dem der Aufwand mit weiter zunehmender Größe exponentiell steigt. Gleiches gilt für die physikalischen Probleme, die zu lösen sind, wenn Schwerkraft gegen Öffnungskraft und Bauteilfestigkeit steht. Natürlich ist auch hier bei entsprechendem Aufwand fast alles machbar, jedoch nicht zu überschaubaren Kosten, zumal diese Kosten je Gerät anfallen und sich nicht mit zunehmender Geräteanzahl relativieren.

Messe Hamburg

Die Neue Messe Hamburg bietet in 11 Messehallen 87.000 m² Ausstellungsfläche. Rund 40 Messen werden jährlich von knapp 12.000 Ausstellern und gut 700.000 Gästen besucht. Überdacht werden die Messehallen von aneinandergereihten etwa 20 m breiten Tonnendächern, gedeckt mit Aluminium- Stehfalzbahnen auf einem hölzernen Tragwerk. Die Errichtung der Dächer samt RWA erfolgte Zug um Zug in den Jahren 2005 bis 2008.

Herausforderung

Insgesamt waren 315 Lichtkuppeln als NRWG einzubauen. Zwei Zusatzfunktionen waren dabei mit der RWA-Funktion in Einklang zu bringen. Insbesondere der Wunsch nach einem verstellbaren Sonnenschutz, der wahlweise von Lichtlenkung über Verschattung bis hin zu annähernder Verdunkelung fungieren sollte, stellte eine Herausforderung dar. Am Markt verfügbare eigenständige Sonnenschutzsysteme waren nur mit großem technischen Zusatzaufwand so auszustatten, dass die Wirksamkeit der NRWG jederzeit unverzüglich und uneingeschränkt gegeben war. Hinzu kam die gewünschte mehrstufige Lüftung für Schön- und Schlechtwetter mit teilweise enormen Lüftungshüben bis 1100 mm. In Kombination mit der „Auf/ Zu“-Funktion der RWA-Kuppeln für häufige Funktionsproben und schnelles Schließen nach Fehlauslösung ergaben sich daraus einige Schwierigkeiten. Besonders das Aus- und Einkoppeln der Lüftungsantriebe bei RWA- Auslösung und RWA-Schließen in jeder beliebigen Lüftungsstellung war ein Knackpunkt. Die Einbindung in die gebogene Dachhaut der Tonnendächer war eine weitere Herausforderung.

Lösung

Die Basis bildete zunächst ein Standard- Lichtkuppel-NRWG vom Typ „Rauchlift F80“ in der Größe 180/250. In dessen Kuppeloberteil wurde ein eigens dafür entwickeltes leichtes Sonnenschutzlamellensystem integriert. Das hatte den Vorteil, dass im RWA-Fall der Sonnenschutz komplett und ohne weitere Maßnahmen zusammen mit dem Kuppeloberteil aus der Öffnung gefahren wird. Nachteilig wirkte sich dagegen das Mehrgewicht aus, das vom Öffnersystem des NRWG gehoben werden muss. Auf stärkere Öffner und eine neue Systemprüfung nach EN 12101- 2 konnte nur deshalb verzichtet werden, weil mit einer sehr leichten Kuppelverglasung und den gewichtsoptimierten Sonnenschutzlamellen in Summe noch unter dem Gewicht der schwersten geprüften Standardverglasung geblieben wurde. Diese Lösung nimmt damit auf elegante Weise weder Einfluss auf die mechanische Funktion des NRWG noch auf dessen aerodynamische Wirksamkeit. Die Lüftung wurde mit mehrstufigen Pneumatikzylindern realisiert, die in ihren funktionsrelevanten Teilen baugleich mit den geprüften sind. Durch eine eigens entwickelte weggebundene Führung, werden die Verriegelungsbolzen in jeder beliebigen Lüftungsstellung exakt auf der Kreisbahn des Verriegelungsschlosses im Kuppeloberteil gehalten. Damit wird insbesondere das schwierige Einkoppeln beim Schließen aus der RWA-Stellung mit ausgefahrenen Lüftungszylindern sicher gewährleistet. Optimierte GFK-Stahl-Aufsatzkränze mit Anschlussmöglichkeit für die gebogenen Aluminium-Stehfalzbahnen machten das Paket komplett.

Chancen und Grenzen

Die relativ große Geräteanzahl rechtfertigte zwar keine komplette Neuentwicklung samt Prüfung, ermöglichte aber durchaus erhöhten Entwicklungsaufwand bei zugleich überschaubaren Kosten je NRWG. Dabei war darauf zu achten, sich innerhalb der bestehenden Systemzulassungen zu bewegen. Als Vorteilhaft erwies sich außerdem die frühzeitige Einbindung der Hersteller in der Planungsphase. Dadurch konnten machbare Lösungen und maximaler Zusatznutzen optimal abgestimmt werden. So wurde z.B. durch Beschränkungen bei der Verglasung auf nur mittlere Wärme- und Schalldämmwerte das Klappengewicht geringgehalten und die gefundene Lösung überhaupt erst ermöglicht. Auch beim Sonnenschutz wurden leichte Abstriche gemacht. Durch Verzicht auf Totalverdunkelung und auf maximalen Hitzeschutz, den nur ein außenliegendes System gebracht hätte, konnte ein Produkt entstehen, das allen anderen Anforderungen optimal gerecht wurde.

Fazit

Großprojekte bergen oft besondere Herausforderungen, bieten aber auch besondere Chancen. Frühzeitige Abstimmung zwischen Planern, Sachverständigen und Herstellern ist die Basis für bestmögliche Lösungen und vermeidet spätere Konflikte. Auch größte Objekte und beste Budgets unterliegen den Grenzen der Physik. Insbesondere der Einfluss des Windes auf den natürlichen Rauchabzug wird häufig unterschätzt. Aber auch andere physikalische Grenzen im Bereich der Mechanik lassen sich nicht endlos verschieben. Die in Großprojekten erarbeiteten Lösungsansätze lassen sich prinzipiell auch auf kleine Bauvorhaben übertragen, allerdings sind hohe Fix-Kosten bei geringen Stückzahlen oft nicht wirtschaftlich.


Weitere "Herausforderungen und Lösungsansätze für RWA- Anlagen am Beispiel konkreter Großprojekte" stellten wir Ihnen in den Ausgaben 03 und 04/2018 des BRANDSCHUTZ-
Newsletters vor.

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